Boyden hat im vergangenen Jahr 75. Jubiläum gefeiert. Wie sich ein Dreivierteljahrhundert nach der Gründung das Headhunting gewandelt hat, über ideale Kandidatinnen und Kandidaten sowie über „Kollege Roboter“ hat sich das „HR-Journal“ mit Jörg Kasten, Managing Partner der internationalen Personalberatung Boyden, unterhalten.
Ursprünglich erschienen im HR Journal am 9. Februar 2022
Empathisch sollen sie sein, Menschen begeistern können, sagt Jörg Kasten, Managing Partner bei Boyden Germany, im Interview. Was zählt noch, um als Führungskraft bei Headhuntern zu punkten?
Welche Fähigkeiten müssen Führungskräfte heute mitbringen? Auf jeden Fall Empathie und die Fähigkeit, Menschen zu begeistern. Sicher im Umgang mit den Sozialem Medien sollten sie sein. Digitale Kompetenzen sind ohnehin mittlerweile nur noch ein Hygienefaktor. Damit ist es aber nicht getan. „Dekarbonisierung ist das Zauberwort“. Führungskräfte mit Kompetenzen im Bereich „Sustainability“ werden sehr schnell einen Job finden, sagt Jörg Kasten.
Das HR JOURNAL hat mit ihm über Executive Search im Jahr 2022 gesprochen, über ideale Kandidatinnen und Kandidaten, über gefragte Positionen und nicht zuletzt über die Zukunft der Branche. Im Executive Search wird „Kollege Roboter“ nicht im großen Stil mit KI nach passenden Kandidaten suchen, da ist sich Jörg Kasten sicher. Lesen Sie hier mehr.
Boyden hat im vergangenen Jahr das 75. Jubiläum gefeiert. Erst einmal herzlichen Glückwunsch. Wie hat sich Executive Search in dieser Zeit entwickelt?
Jörg Kasten: Zuallererst: Herzlichen Dank für die Geburtstagswünsche! Ich selbst bin seit über 25 Jahren im Headhunting aktiv, weiß jedoch, dass Executive Search vor einem Dreivierteljahrhundert eher einer Detektivarbeit glich: Recherchemedien, wie wir sie heute kennen, waren 1946 noch weitgehend unbekannt. Und ein Telefonanschluss führte damals nicht direkt zum Top-Manager, sondern zunächst musste man an der Telefonistin vorbei.
Als Boyden dann 1983 erstmals Büros in Deutschland eröffnete, musste auch auf dem hiesigen Markt zunächst einmal viel Überzeugungsarbeit geleistet und erklärt werden, dass Executive Search nichts Halbseidenes oder gar Verbotenes ist. Heute haben wir eine ganz andere Situation: Inzwischen ist die Direktansprache von Top-Managern fast schon Commodity – und ehrlicherweise wechseln die Top-Manager nahezu überhaupt nicht mehr den Arbeitgeber, ohne dass ein Personalberater im Spiel war.
Das Leistungsangebot von Executive-Search-Beratungen geht ja heute deutlich über das klassische Headhunting hinaus. Wo könnte es in Zukunft hingehen?
Jörg Kasten: Ohne Zweifel unterliegt das klassische Headhunting im Laufe der Zeit verschiedenen externen Einflüssen, auf die man als erfolgreiche Executive-Search-Beratung reagieren muss. Daher umfasst unser Leistungsangebot mittlerweile auch die Aspekte Interim-Management und Leadership Consulting, wie zum Beispiel Management Audit. Im Grunde wurde das Leistungsportfolio des klassischen Headhuntings aber nur verfeinert und ist im Kern gleich geblieben: Die Bedürfnisse des Kunden zu identifizieren und auf dieser Grundlage den richtigen Kandidaten für den Job zu finden.
Welche Skills muss in 2022 eine Beraterin / ein Berater haben – und welche werden in Zukunft eine Rolle spielen?
Jörg Kasten: Als Headhunter benötigt man heute sicherlich feinere Antennen als noch vor einigen Jahren. So ist etwa Diversity längst nicht mehr nur ein Lippenbekenntnis, sondern wird – glücklicherweise – im Top-Management immer mehr gelebte Realität. Dabei umfasst Diversity Management gewiss deutlich mehr als nur die oft diskutierte Frauenquote. Erfahrene Personalberater haben ein Gespür für sensible Themen und sind qua ihrer Funktion immer mit sehr aktuellen Themen und Trends befasst, so auch mit der Frage des Datenschutzes, die aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung im Recruiting heute einen viel höheren Stellenwert hat. Und das macht sich ebenfalls in der täglichen Arbeit bemerkbar, auch was die Anforderungen der Unternehmen an Manager angeht, die sich mit diesen Themen befassen sollen. Es gilt, höchste Transparenz und Sicherheit auf der einen, aber auch Effektivität und Schnelligkeit auf der anderen Seite im gesamten Besetzungsprozess in Einklang zu bringen.
Und natürlich haben sich Führungskräfte professionalisiert – Stichwort Social-Media-Auftritt. Viele Auftraggeber suchen daher vermehrt nach Kandidaten, die nicht nur in der „analogen“ Arbeitswelt souverän und glaubwürdig auftreten, sondern gleichfalls in den sozialen Medien. Ein reflektierter, gradliniger Umgang in sozialen Netzwerkplattformen wird sogar vorausgesetzt.
Ein Beispiel: Wenn ich einen Head of Sustainability suche und ein vermeintlich passender Kandidat postet auf einem Social-Media-Kanal eine Story, in der im Hintergrund sein getunter Sportwagen zu sehen ist, dann mag das für Sportwagenfreunde interessant sein. Für die zu besetzende Stelle erweist sich diese Person jedoch direkt als ungeeignet. Um solche – im Zweifel für den Mandanten teuren und reputationsschädigenden Fallstricke von vornherein auszuschließen – sollten moderne Executive-Search-Berater über ein hohes Maß an digitaler und sozialer Kompetenz verfügen. Auch hier ist mehr Fingerspitzengefühl gefragt.
Die Pandemie hat die Arbeit von HR drastisch verändert. „Digital“ und „remote“ lauten die Stichworte. Wie sieht Executive Search in Pandemiezeiten aus? Wie funktioniert das?
Jörg Kasten: Es funktioniert, die Pandemie hat die tägliche Arbeit allerdings alles andere als einfacher gemacht. Denn eines steht für mich fest: Virtuelle Interviews schränken den Erkenntnisgewinn deutlich ein. Wenn man Kandidaten face to face gegenübersitzt, erfährt man etwa hinsichtlich der sozialen Präsenz deutlich mehr, als wenn man sie nur in einzelnen Kästchen in einer Videokonferenz sieht.
Zudem bekommen wir rein digital nicht das gewohnte Maß an Commitment übermittelt. Kandidaten halten Verpflichtungen nach einem virtuellen Gespräch erfahrungsgemäß seltener ein. Wenn ich mich mit einem Kandidaten persönlich treffe, dann weiß ich im Nachgang relativ sicher, ob er wirklich Interesse an der Position hat. Im Zweifel nimmt er sich auch mal einen Tag Bedenkzeit und meldet sich dann bei mir zurück.
Wenn sie sich mit jemandem aber nur in einer Videokonferenz ausgetauscht haben, passiert es deutlich häufiger, dass sie ein gutes und konstruktives Gespräch geführt haben, der Kandidat schickt im nächsten Schritt noch seinen Lebenslauf zu – und danach kommt das für alle Seiten unbefriedigende Ghosting. Die Hemmschwelle, nicht mehr zu reagieren oder Commitments nicht einzuhalten, ist viel geringer, wenn man sich ausschließlich digital kennengelernt hat.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Kommunikation via Videocall oder auch mal ein schnelles Feedback per Textnachricht es einem ermöglichen, mit mehr Kandidaten schnell und unkompliziert in Austausch zu treten. Vor einigen Jahren beschränkte man sich häufig auf Treffen in der Hotellobby. Hier bieten digitale Technologien neue Möglichkeiten.
Wie würde sich in Corona-Zeiten – und auch danach – die ideale Zusammenarbeit zwischen HR und einer Executive-Search-Beratung aus Ihrer Sicht darstellen?
Jörg Kasten: Das ist im Grunde unabhängig von der aktuellen Corona-Krise: Die ideale Zusammenarbeit zwischen HR und einer Executive-Search-Beratung basiert seit jeher auf einem hohen Maß an Vertrauen und Kommunikation. Das fängt schon damit an, dass firmeneigene Kandidaten vom Mandanten gleich zu Beginn der Zusammenarbeit offen kommuniziert und in den Prozess integrieren werden – und eben nicht „wie Kai aus der Kiste“ kommen sollten.
Executive-Search-Berater sind aber auch in der Pflicht, als gutes Vorbild voranzugehen: Daher tausche ich mich sehr regelmäßig und proaktiv mit meinen Mandanten aus. Vor allem in der „heißen Phase“ des Besetzungsprozesses ist ein intensiver Dialog zwischen HR und Headhunter für eine erfolgreiche und langfristige Zusammenarbeit unerlässlich. Das war er aber auch schon vor der Pandemie mit all ihren Neuerungen.
In einem Beitrag im HR JOURNAL hatten Sie gesagt, dass die „analogen“ Führungskräfte mit ihren klassischen Methoden nicht mehr nachgefragt werden. Und: Führung habe sich grundlegend verändert. Welche Skills und Qualitäten sind heute bei Führungskräften gefordert?
Jörg Kasten: Das Top-Down-Prinzip ist auf jeden Fall ein Auslaufmodell. Führungskräfte müssen noch mehr in der Lage sein als in der Vor-Corona-Zeit, Menschen zu begeistern und auch die Identifikation mit der eigenen Organisation hochzuhalten. Denn man darf eines nicht vergessen: Wenn ein Angestellter komplett im Homeoffice sitzt, ist es ihm – salopp gesagt – egal, ob er unter der grünen, blauen oder gelben Flagge arbeitet. Die Identifikation mit dem Arbeitgeber wird zwangsläufig geringer. Im Hinblick auf diese unternehmerische Herausforderung sind empathische Fähigkeiten einer Führungskraft nicht mehr nice-to-have, sondern schlussendlich ein must-have. Manager müssen ihre Führungsmethoden so anwenden, dass sie eben auch digital funktionieren und nicht nur im Büro hinter verschlossener Tür.
Wie groß ist denn das Angebot an „Digital Leadern“ – und wie sieht es mit der Nachfrage seitens der Unternehmen aus?
Jörg Kasten: Es geht heutzutage schlichtweg nicht mehr ohne digitale Kompetenzen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das Thema Digital Leadership inzwischen ein Hygienefaktor ist. Es ist kein Führungsstil, den Unternehmen prioritär suchen, sondern einer, den eine gestandene Führungskraft inzwischen mitbringen muss. Das Angebot an Digital Leadern ist also zweifelsohne vorhanden, auch weil viele diese Aufgabe in den letzten 24 Monaten gezwungenermaßen übernehmen mussten.
Welche Positionen sind besonders gefragt – und in welchen Branchen?
Jörg Kasten: Ein großes Thema ist natürlich Sustainability. Bislang war es nicht selten der Fall, dass Unternehmen, um „grüner“ zu erscheinen, einen Firmenprospekt erstellt haben, der – überspitzt formuliert – aus recyceltem Papier bestand und die eigenen Fortschritte beim Thema Nachhaltigkeit thematisierte. Damit kommen Firmen heute bei Weitem nicht mehr durch, die Anforderungen sind viel schärfer geworden. Inzwischen müssen Unternehmen beispielsweise im Blick haben, wie nachhaltig die selbst genutzte Energie ist und – in vielen Branchen – gleichzeitig den CO2-Ausstoß ihrer Kunden messen. Dekarbonisierung ist hier das Zauberwort – mit Konsequenzen für die Personalauswahl. Manager mit Kompetenzen in diesen Bereichen werden sehr schnell und einfach eine neue Position finden können.
Blicken wir nach vorne: Wie wird sich in Post-Corona-Zeiten Ihre Branche entwickeln? Welche Trends sind absehbar?
Jörg Kasten: Neben den oben angesprochenen Herausforderungen bringt die Pandemiezeit für Headhunter gewiss auch Vorteile mit sich: Früher ist man schon einmal für ein Interview von Frankfurt am Main nach New York geflogen, das macht man heute und in Zukunft sicherlich nicht mehr in diesem Umfang – und das ist auch gut so. Gerade Meetings, wo sich alle Beteiligten bereits kennen, werden auch weiterhin größtenteils virtuell stattfinden. Die Wahrheit liegt jedoch in der Mitte: Wenn es etwa um die Besetzung von absoluten Top-Management-Positionen geht oder man sich noch nicht persönlich über den Weg gelaufen ist, wird man sich in naher Zukunft wieder mehr persönlich treffen.
Ich verspüre jedenfalls bei vielen meiner Mandanten schon jetzt den Drang, in der Post-Corona-Zeit wieder verstärkt persönliche Treffen abzuhalten. Da geht es mir übrigens ganz genauso: Nicht zuletzt zeichnet insbesondere der enge persönliche Austausch mit den Mandanten, Kandidaten und HR-Abteilungen den Beruf des Executive-Search-Beraters aus.
Ansonsten wird im Executive Search Kollege Roboter nicht im großen Stil mit KI nach passenden Kandidaten suchen. Hier wird es auch weiterhin den Berater als „Trusted Advisor“ geben. Allerdings haben und werden sich die genutzten Kanäle weiter verändern. Ein erstes Feedback via WhatsApp & Co. ist heute auch auf den obersten Führungsebenen normal – vor ein paar Jahren war das noch undenkbar.
Mein Eindruck ist, dass so manche Unternehmen gerne zu den Zeiten vor der Pandemie zurückkehren würden, inklusive Führung alten Stils. Was würden Sie denen sagen?
Jörg Kasten: Die Entwicklung lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die alten Führungsmuster sind obsolet – und das vor allem, weil sich die Mitarbeiter nicht mehr dem alten Stil unterordnen wollen und werden. Die Zeiten, in denen Unternehmen Homeoffice als Modeerscheinung abtun konnten und stattdessen auf Präsenzbetrieb setzten, sind endgültig vorbei. Zumal die Pandemie gezeigt hat, dass es erfolgreich funktioniert, wenn es denn muss. Diese neue Realität haben ehrlicherweise aber auch die meisten Unternehmen schon verinnerlicht, sodass sie nicht mehr nur die Probleme, sondern vielmehr die Vorteile und Chancen sehen, die mit dem immensen Wandel in der Arbeitswelt einhergehen. Wenn Unternehmen nun wieder weg von diesem „neuen normal“ gehen wollen, wären sie eben genau das: Nicht mehr normal.