Kathleen Dunton, Managing Partner, Personalberatung Boyden, der Frage auf den Grund, warum Frauen, wenn sie sich um eine Führungsposition bewerben, immer wieder mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert werden. Gleichzeitig erklärt sie, wie Unternehmen die Potenziale von Frauen für Führungspositionen besser erkennen und langfristig fördern können.
Ursprünglich abgedruckt im "Fachmagazin Perspektiven (DFK)".
Schmidt: Die „Aufregung“ um die Kanzler*innenkandidatur von Annalena Baerbock hat sich mittlerweile gelegt. Fragen, wie sie das Amt mit der Erziehung ihrer Kinder vereinbaren könne, sind seltener geworden. Warum ist Frau Baerbock aber überhaupt danach gefragt worden?
Dunton: Zunächst einmal muss man festhalten, dass sich das Bundeskanzler*innenamt natürlich durch seine herausragenden gesellschaftlichen Aufgaben und immense Verantwortung auszeichnet. Um das dritthöchste politische Amt der Bundesrepublik adäquat mit Leben füllen zu können, braucht die/der Kanzlerkandidat*in schlichtweg außergewöhnliche Fähigkeiten und Skills. Fragen seitens der Medien nach dem Privatleben der Kanzlerkandidat*innen gehören qua Amt im Prozess der Kandidatur dazu, daran gibt es keine Zweifel. Die Geschlechterrolle sollte dabei aber kein zentrales Kriterium bei der Eignungsprüfung mehr sein. Die Frage, ob eine Mutter von zwei Kindern überhaupt Kanzlerin werden kann, ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sollten die Kandidat*innen nach fachlicher Qualifikation und sozialer Kompetenz bewertet und diskutiert werden. Wer bringt das größte fachliche Wissen und Können mit? Wie sieht es mit der persönlichen Integrität aus? Das sind die entscheidenden Fragen, um die/den bestmögliche*n Kandidat*in zu finden. Auch in der Wirtschaft sind das die Kriterien, auf die es ankommt.
Schmidt: Sind wir im Jahre 2021 immer noch nicht bereit für Gleichstellung?
Dunton: Die Gleichstellung ist eine der zentralen Herausforderungen einer modernen sozialen Gesellschaft, um das Miteinander von Frauen und Männern gerecht zu gestalten. Vor allem die Unternehmen stehen in der Pflicht, Frauen darin zu unterstützen, ihre Potenziale zu erkennen und diese zu fördern. Glücklicherweise wissen mittlerweile die Unternehmensentscheider den „Erfolgsfaktor Diversität“ auch immer öfter zu schätzen. Das spiegelt sich seit einigen Jahren in den Suchaufträgen wider, die ich erhalte. Es tut sich in Bezug auf die Gleichstellung also einiges, wenngleich es noch Luft nach oben gibt. Und das gilt für die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen.
Schmidt: Interessanterweise waren es ja keine Vorbehalte gegenüber der Partei oder, auf das Wirtschaftslebe spiegelt, des Unternehmens oder Arbeitgebers. Die Fragen wurden von der Presse gestellt. Hat die Presse das Bild/die Einstellung der Bevölkerung aufgenommen und widergespiegelt?
Dunton: Die wichtigste Informationsquelle der Menschen sind und bleiben die Medien. Sie stoßen durch ihre Berichterstattung öffentliche Diskussionen an und haben daher unterschiedliche Wirkungen auf die Gesellschaft. Die meisten kann man als positiv, einige wenige muss man als negativ ansehen. An der ein oder anderen Stelle greifen die Medien aber sicherlich die Einstellung der Bevölkerung auf und geben sie wieder. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass nur ein Bruchteil der Gesellschaft die angesprochenen Vorbehalte im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf teilt. Der Großteil ist in dieser Frage vorwärts- statt rückwärtsgewandt. Und wir brauchen diese Kultur des Wandels, um auch in Zukunft weltweit als innovativer Wirtschaftsstandort geschätzt zu werden.
Schmidt: Ist dieses Unconscious Bias (unbewusstes Vorurteil) der Grund, warum es so wenig Frauen in Führungspositionen gibt?
Dunton: Unbewusste Vorurteile schlummern in jedem von uns, das ist völlig normal und erst mal unproblematisch. Problematisch wird es hingegen dann, wenn bewusst diskriminierende Vorurteile oder Klischees gegenüber Frauen, wie leider oftmals in besonders traditionellen Konzernen und Unternehmen zu sehen, in stereotypen Verhaltensweisen münden. Gerade in den besonders etablierten Unternehmen bleibt man noch immer gerne bei Altbewährtem und rekrutiert Führungskräfte fast ausschließlich nach dem Motto „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Diese verkrusteten Unternehmensstrukturen werden bedauerlicherweise nur sehr langsam aufgebrochen. Aufgrund dadurch gebildeter Geschlechtsrollenstereotypen wird der Aufstieg von Frauen in Führungspositionen maßgeblich verhindert. Das betrifft selbstredend nicht nur Aspekte wie das Geschlecht, sondern geht viel weiter und umfasst Religion, Ethnie, kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung oder das Alter.
Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass sich viele Frauen leider noch immer viel zu häufig bewusst gegen Führungspositionen entscheiden, da beispielsweise die nötigen Angebote, Familie und Beruf auch am Anfang einer Karriere sinnvoll zu vereinen, fehlen. Aber auch gesetzliche Regelungen, wie etwa das Ehegattensplitting, setzen negative Arbeitsanreize und bremsen so manche weibliche Karriereperspektive aus.
Schmidt: Ist die Kandidatur von Annalena Baerbock als Vorbild für viele Frauen zu sehen, um ihren „Führungsanspruch“ zu äußern? Die Regierungszeit von Angela Merkel hat in dieser Hinsicht ja anscheinend nicht viel gebracht.
Dunton: Für eine ganze Generation Heranwachsender ist und bleibt Angela Merkel ein erfolgreiches Role Model. Zudem hat sie die politische Landschaft über die letzten 16 Jahre – national wie auch international – mit ihrem Führungsstil geprägt.
Was die Kandidatur von Annalena Baerbock und die Frage des Vorbilds angeht, muss man meines Erachtens differenzieren. Der Start und die Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur war „gelebte“ Gleichberechtigung und für viele Frauen ein wichtiges Signal. Dieses positive Stimmungsbild ist in den Folgemonaten durch – nennen wir es mal handwerkliche Fehler und eine starke Fokussierung in der Berichterstattung – allerdings beschädigt worden. Erfolgreiches Führen schließt ein, anderen ein Vorbild zu sein. Und diese Vorbildfunktion hat für viele Beobachter in den letzten Wochen Risse bekommen. Jeder muss daher für sich entscheiden, inwieweit sie als Vorbild dienen kann. Aus dem Alltag einer Personalberaterin kann ich aber berichten, dass, wenn im Laufe eines Bewerbungsprozesses immer neue negative Aspekte zum Vorschein kommen, würde und müsste ich diese Person – zum Wohle des Auftraggebers – aus dem Verfahren herausnehmen. Denn in der Politik wie in der Wirtschaft heißt Kandidatur respektive Bewerbung nicht nur, die Hand zu heben und Bereitschaft zu zeigen. Stattdessen müssen im gesamten Bewerbungsverlauf die Erwartungen aller Beteiligten – auch der Kandidat*innen selbst – erfüllt werden.
Schmidt: Brauchen wir wirklich eine Frauenquote und wie nachhaltig ist diese, wenn das Mindset immer noch in den 1980er-Jahren verwurzelt ist?
Dunton: An alten und überholten Strukturen festhalten führt häufig geradewegs in die Sackgasse. Manchmal muss man einfach neue Wege einschlagen, um Probleme langfristig zu lösen. Wenn wir uns beispielsweise den Kampf gegen den Klimawandel oder die angesprochene Frauenquote anschauen, wird schnell klar, dass wir als Gesellschaft schon deutlich weiter sind als in den 1980er-Jahren. Gerade die Frauenquote ist dabei ein wichtiges Signal – insbesondere an die Wirtschaft. Viele Firmenchefs müssen ihre Führungspositionen nun zwangsläufig unter die Lupe nehmen. Das ist vielerorts sicherlich überfällig. Auf der anderen Seite darf die Quote nicht dazu führen, dass Führungspositionen in den kommenden Jahren vorrangig nach Prozenten vergeben werden. Wie bei der Kanzler*innenkandidatur auch muss das fachliche Wissen und Können im Fokus stehen – unabhängig vom Geschlecht.
Schmidt: Wie können Unternehmen die Potenziale von Frauen für Führungspositionen besser erkennen und langfristig fördern?
Dunton: Frauen in Führungspositionen sind heute leider immer noch zu häufig Einzelkämpfer in Unternehmen, da ihnen ein regelmäßiger und strategischer Austausch – im besten Fall unter Gleichgesinnten – fehlt. Daher lautet die Erfolgsformel: Empowerment am Arbeitsplatz. Frauen benötigen ein konstruktives und förderndes Miteinander, um sich gegen die traditionell männliche Dominanz in den oberen Managementebenen behaupten zu können. Um ein solches Arbeitsklima zu schaffen, sind Mentoring-Programme für weibliche Fach- und Führungskräfte ein unverzichtbares Instrument. Bei diesem Wissenstransfer zwischen Erfahrenen und weniger Erfahrenen geht es primär darum, die Mitarbeiterinnen ganz gezielt zu fördern und für mögliche Führungspositionen zu befähigen beziehungsweise sie auf diesem Weg zu begleiten. Denn es gibt in vielen Unternehmensbereichen potenzielle weibliche Führungskräfte, die bislang aus diversen Gründen nicht ausreichend sichtbar sind. Durch individuelle Mentoring-Programme auf Augenhöhe lässt sich dieses zentrale Potenzial weiblicher Führungsqualitäten deutlich besser erkennen und schlussendlich zum Wohle der Organisation erschließen.