Die ersten 100 Tage in einer Management-Position sind entscheidend für den Erfolg als Führungskraft. Im Interview mit Springer Professional spricht Personalberater Jörg Kasten über Fettnäpfchen beim Amtsantritt und warum Frauen bedachter agieren.
Interview ursprünglich veröffentlicht SpringerProfessional 01.19.23
Springer Professional: Was sind die Herausforderungen, auf die Manager in einer neuen Position treffen?
Jörg Kasten: Es ist am Anfang wichtig, nicht zu viel ändern zu wollen. Das klingt für viele Manager in den ersten 100 Tagen paradox und ist mitunter eine Herausforderung. Aber wichtig ist: erst einmal beobachten, analysieren, mit den richtigen Leuten sprechen und seine Schlüsse daraus ziehen. Es ist eine Kunst, nicht gleich zu viel zu wollen, sondern die Lage zu sondieren und die Kultur des neuen Unternehmens kennenzulernen. Im Bewerbungsgespräch präsentiert sich natürlich auch der Arbeitgeber von seiner Schokoladenseite. Ein kritischer Realitätscheck hilft, die ersten kulturellen Fehler zu vermeiden. Sobald man das erforderliche Bild hat, muss man handeln und gegebenenfalls schwierige Aufgaben, wie etwa Entlassungen, direkt mit Klarheit angehen. Ist man hier zu spät, wirkt sich das negativ auf den weiteren Verlauf im Unternehmen aus.
Wie sollten sich Führungskräfte auf eine neue Position vorbereiten, damit sie einen guten Start ohne Fettnäpfen erwischen?
Neben den fachlichen Qualitäten gehören menschliche und soziale Fähigkeiten ins Repertoire eines Top-Managers. Er sollte vor seinem Antritt nicht nur mit dem Aufsichtsrat und dem Vorstand sprechen, sondern auch mit den direkten Kollegen und seinem Team. Dies kann Aufschluss über die gelebte Organisationskultur oder versteckte Fallstricke geben. Dabei lassen sich erste Fettnäpfchen umschiffen: Wie sind die Umgangsformen miteinander? Du oder Sie? Wie ist der Dresscode? Welche Dos und Don'ts des täglichen Miteinanders gibt es? Der Headhunter kann hier nur bedingt einen Blick hinter die Fassade gewähren und mitteilen, welche äußeren Anzeichen auf welche inneren Vorgänge hindeuten und Managern entsprechende Hinweise geben.
Welche typischen Fehler unterlaufen Top-Managern Ihren Erfahrungen nach am häufigsten und warum?
Eine sichere Methode, um für ungläubiges Schweigen zu sorgen, ist auf ein Problem mit der Lösung eines vorherigen Arbeitgebers zu antworten. Floskeln wie "Wir bei XY haben das immer so gemacht" kommen nicht gut an, selbst dann nicht, wenn das neue Unternehmen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. Die Ursachen sind immer verschieden und man hätte sich die Suche nach einem neuen Manager sparen und die bekannten Methoden der anderen kopieren können, bleibt als Eindruck in den Köpfen.
Eine Führungskraft wird für Wissen, Kenntnisse und Erfahrungen eingestellt, aber die richtige Portion Weisheit, wie und wann diese anzuwenden sind, sollte an oberster Stelle stehen. Neue Manager wollen – meiner Erfahrung nach vor allem Männer – sofort Lösungen präsentieren. Damit signalisiert man, dass alles Bisherige komplett falsch gelaufen ist. Weibliche Top-Manager agieren hier zumeist bedachter und kontrollierter. Sie hören erst zu, identifizieren den Kern des Problems und handeln dann sehr gezielt.
Warum sind Manager in einer neuen Position derart handlungsschwanger und welche Risiken birgt das?
Früh große Veränderungen einzuführen und umsetzen zu wollen, zeugt von Engagement, ist aber auch ein unendlicher Fehlerquell, wenn die neue Führungskraft noch zu wenige Informationen über die Problemstellungen und die Unternehmenskultur hat. Wie so oft ist auch hier weniger mehr. Zudem wollen Top-Manager meist schnell der Verantwortung, die man ihnen übertragen hat, gerecht werden. Daher stoßen sie selbst entsprechende Change-Projekte an, die aber auch Risiken bergen. Sie sollten lieber solche Aufgaben an spezielle Teams, Arbeitsgruppen und Komitees delegieren, die im besten Fall zum gleichen Schluss kommen. Der Vorteil: Geht etwas schief, ist man nicht sofort alleine unter Feuer.
Und welche Fehler lassen sich noch glattbügeln?
Um es mit den Worten von George Bernard Shaw zu sagen: "Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie hätte stattgefunden." Die meisten Fehler lassen sich durch die richtige Kommunikation bereits im Vorfeld vermeiden. Wenn sie doch geschehen, kann Kommunikation den bereits angerichteten Schaden teilweise wieder reparieren. Gerade am Anfang ist es keine Schande, etwas nicht zu wissen. "Dazu kann ich momentan nichts sagen", ist eine vollwertige Antwort. Sich auf die Schnelle etwas ausdenken oder falsch wiederzugeben, nur um überhaupt etwas sagen und nicht inkompetent zu wirken, ist kontraproduktiv.
Und welche Fehler werden nicht so leicht verziehen?
Schwerer zu begradigen sind Schnitzer im Umgang. Verstöße gegen die Unternehmenskultur werden unbewusst persönlich aufgefasst. Verlorene Gunst wiederzugewinnen, ist unsagbar schwer. Genauso verhält es sich mit getroffenen Absprachen, die nicht eingehalten werden, was das Vertrauen dauerhaft ruinieren kann. Ungeahnte Konsequenzen kann auch die falsche Einschätzung von einzelnen Stakeholdern haben: Vielleicht besitzt jemand nur einen geringen Anteil am Unternehmen, ist aber ein starker Meinungsmacher, die laute Minderheit sozusagen. Wer es sich mit diesen Multiplikatoren verscherzt, wird nur noch einen schweren Stand haben – und oft keinen langen.
Manche Manager scheitern bereits nach wenigen Jahren, weil sie nicht ins Unternehmen passen. Was ist bei der Executive Search gegebenenfalls schief gelaufen, wenn Unternehmenskultur und neuer Top-Manager gar nicht matchen?
Insbesondere Top-Manager werden meist für eine ganz bestimmte Aufgabe an Bord geholt werden, um die aktuellen Herausforderungen des Unternehmens zu meistern. Nach diesen Kriterien sucht der Headhunter den passenden Kandidaten. Die durchschnittliche Verweildauer eines Dax-CEOs liegt bei etwa zwei bis zweieinhalb Jahren. Wenn ein Manager nach vier bis sechs dann seinen Posten räumt, sehe ich hier keine Verfehlung des Headhunters. Der richtige Manager kam zur richtigen Zeit und hat die ihm aufgetragenen Probleme gelöst. Bei neuen Herausforderungen, die sich aktuell schneller wandeln als jemals zuvor, kann sich ein erneuter Kurswechsel für das Unternehmen als sinnvoll erweisen – und dann bedarf es auch wieder eines neuen Typs Manager, der sich dieser Aufgabe annimmt. Headhunter sind daher gerade sehr nachgefragt, denn die anstehenden Kurswechsel in der Wirtschaft sind auf nahezu allen Ebenen zu spüren.