Erschienen in: ESGZ – Fachzeitschrift für Nachhaltigkeit und Recht (Print)
Wie verändern sich die Rollen und Zuständigkeitsbereiche in einem Unternehmen, wenn mehr Nachhaltigkeit Einzug halten soll? Gibt es Regeln, wie nachhaltige Führung gelingen kann? Und welche Branchen sind hier glänzende Vorbilder? Wie sich die Unternehmenswelt durch das neue Verständnis von Nachhaltigkeit wandelt, erklärt Dennis Grabherr, Partner der Personalberatung Boyden und Experte für Management & Führung.
VCD: Herr Grabherr, was versteht man eigentlich unter nachhaltiger Unternehmensführung? Ist das nicht ein sehr schwammiger Begriff?
DG: Im Kern kann man sagen, dass es sich um ein Managementkonzept handelt, das auf Ökonomie, Ökologie und Soziales abzielt. Und sicherlich ist das noch im Werden begriffen und wird sich evolutiv weiterentwickeln. Dabei sind die Schwerpunkte den meisten Unternehmensentscheidern bewusst, was aber leider nicht zur Folge hat, dass wir bereits genug tun. Die Wirtschaftssubjekte, das heißt Unternehmen wie auch Kunden, müssen hier noch viel schneller und konsequenter vorangehen, um unseren Planeten für zukünftige Generationen zu schützen. Und Sie haben im Übrigen vollkommen recht, der Begriff der nachhaltigen Unternehmensführung ist eher schwammig und schwer zu greifen. Das hat zur Folge, dass Unternehmen den Begriff wohl auch erst dann ganzheitlich in der Praxis umsetzen werden, wenn sie das Konzept der Gesamtverantwortung auch wirklich verinnerlicht haben. Aber eines ist auch klar: Die Zeit der kleinen Schritte muss endgültig vorbei sein. Und das haben eigentlich alle verstanden.
VCD: Kleine Schritte sind doch aber besser als gar keine. Welche Stellschrauben haben Manager überhaupt zur Verfügung?
DG: Um Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verankern, muss diese – wie jeder andere Erfolgsfaktor – messbar gemacht werden. Oder wie es im angloamerikanischen Raum immer heißt: Only what gets measured gets fixed. Das heißt, der Königsweg, der inzwischen von vielen, aber leider noch immer nicht von ausreichend vielen Unternehmen beschritten wird, ist die Selbstverpflichtung der einzelnen Organisation zu vorher festgelegten ESG-Zielen.
Und in diesem Punkt herrscht noch eine große babylonische Sprachverwirrung, was die Definition von Nachhaltigkeit und die Vereinheitlichung der Systeme, die angewendet werden, angeht. Auch deshalb wird es in Zukunft vor allem darum gehen, die Fortschritte zu operationalisieren. Aber das funktioniert nur dann, wenn man sich als Unternehmen eben klare und verbindliche ESG-Ziele setzt. Ich bin allen offensichtlichen Herausforderungen zum Trotz jedoch optimistisch, dass das Vorantreiben dieser Nachhaltigkeitsagenda ein erreichbares Ziel darstellt. Es erfordert jedoch ohne Wenn und Aber ernsthaftes Engagement, große Visionen und herausragende Talente, um wirklich spürbare Wirkung zu entfalten. Salopp gesagt reicht es nicht mehr aus, lediglich auf recyceltem Papier schicke unternehmensinterne ESG-Ziele aufzuzählen. Die richtigen Köpfe müssen an Bord geholt werden und diese dann auch erkennen, welche Stellschrauben, wie zu drehen sind, um ambitionierte ESG-Ziele und Unternehmenserfolg in Einklang zu bringen.
VCD: Gibt es bestimmte Eigenschaften, die Führungskräfte heute mitbringen müssen, um mehr Nachhaltigkeit in ihre Unternehmen zu tragen?
Dass ein Manager nach außen hin bestenfalls nicht der größte Formel-1-Fan sein sollte, wenn es darum geht, mehr Nachhaltigkeit in das Unternehmen zu tragen, liegt auf der Hand.
DG: Die klassischen Manager-Skills, die zur Umsetzung der Ziele notwendig sind, haben natürlich nicht an Bedeutung verloren – im Gegenteil. Bei ESG geht es im Besonderen um zeitgemäße Führungskompetenzen. So ist etwa das Motivieren und Wertschätzen der Mitarbeiter insbesondere in Zeiten großer Veränderungen ein relevanter Erfolgsfaktor. Diese Veränderungen bringt ein Umschwenken auf mehr ESG eben mit sich. Ebenso auch eine Kommunikation auf Augenhöhe. Manager müssen die Neuerungen mit allen Stakeholdern adäquat und wertschätzend kommunizieren können. Dass ein Manager nach außen hin bestenfalls nicht der größte Formel-1-Fan sein sollte, wenn es darum geht, mehr Nachhaltigkeit in das Unternehmen zu tragen, liegt auf der Hand. Für Topmanager ist authentisches Auftreten heute mehr denn je eine wichtige Fachkompetenz, um die gesetzten Zielvorgaben erreichen zu können.
VCD: Welche Führungskompetenzen und -strategien sind seitens der Unternehmen besonders gefragt? Bottom-up statt Top-down?
DG: Eine ESG- und Nachhaltigkeitstransformation gelingt auch der ambitioniertesten Führungskraft nur dann, wenn sich das Unternehmen auf einem glaubwürdig-nachhaltigen Kurs befindet. Tone from the top und Empowerment sind strategische Kompetenzkriterien für das Top-Management. Noch wichtiger als die Frage nach den richtigen Führungskompetenzen und -strategien zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ist allerdings die kollektive Einstellung im Unternehmen.
VCD: Das heißt?
DG: In vielen Fällen braucht es erst einen Mindset-Change innerhalb der Belegschaft, damit das Unternehmen den richtigen Kurs einschlagen kann. Und dieses Mindset muss die Führungskraft unternehmensintern transportieren können. Die Hauptaufgabe eines Managers besteht demnach darin, die Nachhaltigkeit im Kern der Firma zu verankern. Und das bedeutet noch immer für viele eine große Abkehr von ihren traditionellen Geschäftsmodellen. Dieser Bruch mit alten Wahrheiten erfordert besondere Kommunikationsstärke seitens der Führungskräfte, um aufziehende Konfliktpotentiale schnellstmöglich zu erkennen und im nächsten Schritt minimieren zu können. Gleichzeitig muss diese Kompetenz auf allen Ebenen im Unternehmen vorhanden sein. Das Top-Führungslevel muss also alle Management-Ebenen darunter befähigen, dass sie Nachhaltigkeit und den damit verbundenen Wandel verinnerlichen und dies auch bei ihren Mitarbeitern und Teams erreichen können.
VCD: Wechseln wir mal die Perspektive: Welche Rahmenbedingungen müssen Unternehmen schaffen, damit nachhaltige Führung überhaupt möglich ist?
DG: Es müssen wesentliche Aktionsfelder zur beschleunigten Umsetzung der ESG-Ziele identifiziert werden, beispielsweise in Form konkreter Anreizstrukturen. Diese können materieller, aber auch immaterieller Natur sein. Des Weiteren geht es um systematischen Ressourcenaufbau für die langfristige Gewinnung von qualifiziertem Personal. Aber auch eine Änderung der Unternehmenskultur, indem alle Geschäftsbereiche in Einklang mit ESG-Zielen gebracht werden, ist eine entscheidende Rahmenbedingung. Und natürlich geht es schlussendlich um die Reduktion des CO2-Fußabdrucks.
VCD: Wie soll das in der Praxis aussehen?
DG: Für die Umsetzung dieser Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Ziel-Kaskadierung unbedingt vonnöten. Das bedeutet in der Praxis, dass alle übergeordneten strategischen Ziele auf die jeweiligen Bereiche und Abteilungen herunter gebrochen und mit verbindlichen Bonus-relevanten Zielvorgaben versehen werden müssen. Was auf Top-Management-Level festgelegt wird, muss auch konkret umsetzbar sein. Das funktioniert durch eine parallele Ausrichtung der Geschäftsfelder sowie eine verstärkte Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche. Der Einkäufer sollte also beispielweise auch mit der Produktion sowie dem Marketing und Vertrieb eng abgestimmt sein.
VCD: In welchen Branchen ist eine nachhaltige Unternehmensführung bereits gelebte Realität?
DG: Hier ist eine differenzierte Betrachtung gefragt. Denn jede Branche hat unterschiedliche Startpositionen, um sich dem Thema Nachhaltigkeit anzunähern. Ein Zementhersteller oder Ölproduzent fängt auf einer Ebene an, bei der Foto — Palto/iStock 24 ESGZ 2.2022 Juni 2022 Social & Human Rights kleinste Produktionsveränderungen bereits zu einer atemberaubenden CO2-Reduktion führen. Andere Unternehmen starten naturgemäß auf einem niedrigeren Niveau – und können sich daher umso schneller damit rühmen, ihre Ziele erreicht zu haben. Das sind in der Regel IToder auch Telekommunikationsunternehmen. Durch Bestellung von grünem Strom oder der Installation von Ladesäulen auf dem Parkplatz haben diese Firmen die Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit eine erhebliche Reduktion ihres Footprints zu erreichen. Und das wird – verständlicherweise – dann auch gerne öffentlichkeitswirksam präsentiert.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass noch nicht alle Unternehmen ein Gespür für die Bedeutung von ESG-Kriterien haben. Das kann auch damit zusammenhängen, dass ihre Kunden und Geschäftspartner noch keinerlei Ansprüche in diese Richtung an das Unternehmen formuliert haben. So oder so werden Vorschriften Schritt für Schritt verschärft, die in Bezug auf ESGKriterien einzuhalten sind. Daher sollten sich Unternehmen, die mit dem Thema Nachhaltigkeit vielleicht noch nicht so große Berührungspunkte hatten, alsbald auf die Umsetzung und Einführung solcher Maßnahmen einstellen. Denn gerade die Ansprüche der Endkunden haben das Potenzial sich womöglich schneller als der Gesetzgeber zu ändern, was dann auch rasch entlang der Lieferketten, also auch für die Geschäftspartner der Unternehmen, unmittelbar spürbar wird.
VCD: Denken Sie dass das Thema Nachhaltigkeit öfter in einer expliziten Position auf C-Level verankert werden sollte?
DG: Definitiv! Daran haben Unternehmen schon ein ureigenes Interesse, allein schon im Sinne einer nachhaltigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb muss das Thema in einer expliziten Position auf C-Level verankert werden, sei es in Form des CEOs oder Chief Sustainability Officers (CSO). Die Bestellung eines CSO darf aber kein nice-to-have sein. Es muss der Aufschlag für ein ernsthaftes Umsetzen der ESG-Ziele innerhalb des gesamten Unternehmens sein. In meiner täglichen Arbeit stelle ich immer wieder fest, dass gerade die CSOs für Unternehmen das fehlende Bindeglied sein können, um Geschäfts- mit Nachhaltigkeitsziele sinnvoll in Einklang zu bringen. Das heißt aber nicht, dass der CEO in puncto Nachhaltigkeit im luftleeren Raum schweben darf, ganz im Gegenteil, er muss sich dieser Sache ebenfalls glaubwürdig verschreiben und hinter allen Entscheidungen des CSO stehen.
VCD: CSOs sind bisher aber nur bei den Big Playern zu finden …
DG: Die Rolle des CSO ist meines Erachtens vergleichbar mit der des Chief Compliance Officers (CCO) noch vor einigen Jahren. Nicht wenige haben die Position des CCOs lange als nebensächlich erachtet. Hier hat in der Zwischenzeit ein sehr großes Umdenken stattgefunden, sodass der CCO aus einem modernen und zukunftsgerichteten Unternehmen nicht mehr wegzudenken ist. Und so wird auch der CSO glücklicherweise mehr und mehr zum integralen Bestandteil nachhaltiger Unternehmen.
VCD: Herr Grabherr, was denken Sie, warum so viele Unternehmen mit der Implementierung einer Position, die sich mit Nachhaltigkeit befasst, noch zögern?
DG: Viele Unternehmen haben noch immer große Probleme mit dem Wandel. Etwas Neues auszuprobieren und alte Gewohnheiten über Bord zu werfen, ist ganz klar schwieriger, als im gewohnten Trott zu verharren. So herrscht in vielen Unternehmen noch immer eine spürbare Angst vor Veränderungen. Insbesondere für sehr traditionelle Konzerne kann diese Mentalität allerdings schnell geschäftsgefährdend werden. Denn der externe Druck, etwa durch Regulatorik oder eine höhere Sensibilität aufseiten der Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner, führt unweigerlich dazu, dass sich Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen müssen. Bevor die eigene Marktposition zu kollabieren droht, sollte man sich mit den anstehenden Herausforderungen proaktiv auseinandersetzen. Denn eines haben die letzten Jahre eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Die einzige Konstante ist der schnelle Wandel. Und dieser Logik folgend, ist Zögern keine empfehlenswerte Option, da das schnell in einer „too little, too late“-Sackgasse enden kann. Sich in Sachen ESG jetzt richtig personell aufzustellen, sollte daher eine der obersten Prioritäten sein. Die Jagd auf entsprechende Köpfe und Talente ist auf jeden Fall schon spürbar eröffnet.
VCD: Herzlichen Dank, lieber Herr Grabherr, für das spannende Gespräch und Ihre Impulse!