Eisenberg: Wie nehmen Sie die aktuelle konjunkturelle Situation wahr?
Kamp: Die jetzige Situation ist nicht zu vergleichen mit der Finanzkrise 2008/2009. Damals ging es in vielen Bereichen sehr schnell bergab. Die Zahl der Krisenfälle in der Industrie hat aktuell zwar zugenommen, diese werden aber – auch von den Banken – nicht als generell kritische Entwicklung in allen Branchen gesehen.
Die Unsicherheit über die weitere Konjunkturentwicklung ist je nach Branche und Segment unterschiedlich ausgeprägt. Die technologischen Umbrüche haben für viele Unternehmen weitreichende Konsequenzen – teilweise als Chance, stellenweise als Herausforderung.
Eisenberg: Sehen wir in der Automobil- und -zulieferindustrie sowie im Maschinen- und Anlagenbau eher eine Konjunktur- oder eine Strukturkrise?
Kamp: Von einer Krise würde ich noch nicht sprechen. Wir haben aber hier sicherlich nicht nur eine Konjunkturdelle, sondern gravierende strukturelle Veränderungen.
Volumenrückgänge sind unterschiedlich je nach Modell und teilweise sogar Variante. Auch bei den Zulieferern ergibt sich kein einheitliches Bild, das hängt vom Segment ab (Powertrain, Karosserie, Infotainment, Interior). Wichtig ist auch die regionale Komponente, da diese Industrien sehr exportlastig sind – Wachstum findet für viele Unternehmen außerhalb Europas statt.
Eisenberg: Worauf sollten sich Unternehmen jetzt einstellen – und welche Fehler sollten dabei vermieden werden?
Kamp: Unternehmen sollten nicht nur auf die Konjunktur schauen, sondern sich fragen: Welche bahnbrechenden Veränderungen werden Einfluss auf mein Geschäftsmodell haben? Bin ich darauf optimal vorbereitet? Für Maschinenbaukunden werden beispielsweise Vermietungsmodelle interessanter. Das bietet für den Hersteller, der sich hierauf einstellt, die Chance, über sein Produkt eine Dauerbeziehung zum Kunden zu entwickeln.
Unternehmen sollten vor allen Dingen nicht nur auf ihren klassischen Wettbewerb achten, sondern insbesondere auf potenzielle Wettbewerber außerhalb dieses Kreises – man muss vom „use case“ aus analysieren, sonst springt man zu kurz. Welcher Autohersteller hatte vor Jahren Tesla auf dem Zettel oder wusste, dass bald Datenanbieter den Profitpool der Branche anknabbern?
Wir führen derzeit mit unseren Klienten viele Diskussionen über ganzheitliche Transformationsprogramme, um die Unternehmen auf eine veränderte Marktsituation einzustellen und robuster gegen Risiken zu machen. Im Zentrum der Diskussion steht dabei, das „volle Potential“ eines Unternehmens zu ermitteln statt nur kleinteilige Verbesserungen in einzelnen Bereichen.
Grundsätzlich stehen Turnaround und Transformation aktuell stärker im Fokus, sowohl beim Topmanagement der Unternehmen wie auch bei Finanzierern.
Eisenberg: Bietet die jetzige Situation auch besondere Chancen für Unternehmen, Wettbewerbsvorteile zu realisieren?
Kamp: Auf jeden Fall. Ansatzpunkt hierfür ist insbesondere die Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells. In den meisten Unternehmen steckt noch sehr viel Potential.
Wir beobachten derzeit kaum verstärktes Interesse an Unternehmensakquisitionen zur Stärkung der Marktposition. Eher beobachten wir, z. B. im Maschinenbau, dass man sich von „Underperformern“ im Portfolio trennt – das mag auch an dem nach wie vor hohen Preisniveau bei Unternehmensakquisitionen liegen. Genügend Geld für Investitionen ist sowohl bei vielen Industrieunternehmen wie auch im Private-Equity-Sektor vorhanden, auch wegen des niedrigen Zinsniveaus.
Im Automobilzuliefersektor warten viele Private-Equity-Investoren derzeit noch ab, bis sich geklärt hat, wer tatsächlich zu den Kaufkandidaten gehört und Potential hat.
Unternehmen sind gut beraten, weiterhin in Talente zu investieren. Auch wenn sie an anderen Stellen abbauen – die für die Zukunft wichtigen Fähigkeiten insbesondere in Software und Datenanalyse aufzubauen, wird branchenübergreifend für essenziell gehalten. Neben notwendigen Effizienzverbesserungen spielt auch die Umqualifizierung eine wichtige Rolle.
Eisenberg: Wie sieht in Ihren Augen ein Crisis Readiness-Programm aus?
Kamp: Wie bereits angedeutet, wird die Notwendigkeit zur Umsetzung präventiver Restrukturierungsmaßnahmen noch sehr unterschiedlich gesehen.
Nicht in jeder Klientendiskussion fallen Begriffe wie Crisis Readiness und Restrukturierung – außer bei Unternehmen, die aufgrund geringer Margen auch in der Vergangenheit „wenig Wasser unter dem Kiel hatten“. Gut geführte Unternehmen agieren, wenn der Handlungsspielraum groß ist, auf Basis genauer Kenntnis der Stellhebel und nicht erst, wenn der Druck der Stakeholder hoch ist.
Daher sollten auch gesunde Unternehmen regelmäßig das volle Potential im Rahmen einer 360°-Betrachtung ermitteln, um fundiert entscheiden zu können. Dabei gehören alle Bereiche eines Unternehmens auf den Prüfstand.
Entscheidend für den Erfolg einer Transformation ist es, die Mitarbeiter für die Ziele zu begeistern. Die wenigsten Veränderungsprogramme scheitern an einer schlechten Idee, sondern an der mangelhaften Umsetzung. Geeignete Prozesse, eine gekonnte Kommunikation, Erfahrung im Treiben solcher Prozesse und die Qualifizierung der Mitarbeiterschaft unterstützen den Erfolg.
Eisenberg: Was kann man in diesem Kontext aus der letzten Krise lernen?
Kamp: Unternehmen sollten eine gründliche und ehrliche Situationsanalyse durchführen und das volle Potential möglicher Verbesserungen identifizieren.
Unternehmen sollten besonnen, aber nicht zu zögerlich agieren – entschlossenes Handeln auch ohne 100%ige Sicherheit ist gefragt.
Unternehmen sollten sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern auf ihr Umfeld achten, nah bei ihren Kunden und Lieferanten sein sowie Vertrauen bei den Markt- und Finanzpartnern aufbauen und mit diesen adäquat kommunizieren.
Eisenberg: Wie sieht die Zusammenarbeit von Unternehmensmanagement und Berater in einer solchen Zeit idealerweise aus?
Kamp: Unser Wunsch ist es, dass Klienten die Beraterbeziehung weniger transaktional sehen. Wir streben vielmehr eine in jeder Beziehung partnerschaftliche Verbindung und einen Austausch mit unseren Klienten an. Das ist gerade in Phasen von Unsicherheit besonders wichtig.
Je offener und selbstbewusster das Management ist, umso eher ist es zu einem solchen Dialog bereit. Wir als Berater sind auch offen dafür, selbst ins Risiko zu gehen, auch mit variablen Vergütungsmodellen – wir sind „Partner auf einer gemeinsamer Reise.“ Ich habe mich zum Beispiel sehr gefreut, von einem Klienten zuletzt als „Restrukturierungspartner“ und nicht als Berater bezeichnet zu werden.
Eisenberg: Wie ist Ihre Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Interim Managern in solchen Restrukturierungssituationen?
Kamp: In Veränderungssituationen ist das Vertrauen in das vorhandene Management oft zumindest in Teilen belastet. Solche Situationen erfordern auch Kompetenzen, die Unternehmen nicht vorhalten können, und man braucht Kapazität, um schnell Veränderungen umzusetzen. Da ist es wichtig, Manager einsetzen zu können, die wissen, wo sie hinsehen müssen, welche Fragen zu stellen sind, und wie Veränderungsprozesse effektiv und effizient umzusetzen sind.
Bei der Besetzung mit Interim-Managern ist es wichtig, dass es ein klares Situations- und Aufgabenverständnis gibt, aber auch, dass man das vorhandene Management kennt, um passend zu besetzen.
Vorhandenes Management in Unternehmen muss Kompetenzen abgeben – das setzt Vertrauen voraus.
Professionelle Interim-Management-Agenturen können hierbei mit ihrer Erfahrung und ihrem Netzwerk einen erheblichen Mehrwert leisten.
Eisenberg: Die EU-Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen – Chance für die frühzeitige und vorinsolvenzliche Restrukturierung?
Kamp: Die Erweiterung des Instrumentariums für die Restrukturierung ist grundsätzlich sinnvoll – es wird sehr stark auf die Ausgestaltung und die Kommunikation ankommen. Mit der Eigenverwaltung existiert bereits ein gutes Tool, das auch Zeit gebraucht hat, um sich durchzusetzen.
Erfolgreiche Restrukturierungen zeichnen sich immer durch ausgewogene Beiträge der Stakeholder und entsprechende Verteilung des „Schadens“ aus.
Eisenberg: Vielen Dank für dieses Gespräch!