Krisenursache Supply Chain?

Gestörte Lieferketten und dadurch ausgelöste Produktions-, Liefer- und Liquiditätsprobleme - die aktuelle Gesundheitskrise stellt viele Unternehmen vor dieses Problem.

Aus diesem Anlass hierzu ein Gespräch, das ich mit einem unserer erfahrenen Manager im Bereich Supply Chain führen konnte.

By Norbert Eisenberg, Managing Partner, Boyden Interim Management

Norbert Eisenberg im Gespräch mit Thomas Hengge

Eisenberg: Die aktuelle Corona Epidemie beeinträchtigt sehr deutlich die Lieferketten einer global vernetzten Wirtschaft, Lieferfähigkeit und damit Liquidität insbesondere auch im Mittelstand – wo sehen Sie die Hauptherausforderungen?

Hengge: Die Lieferketten und die damit verbundenen Prozesse sind an den Schnittstellen sehr eng und häufig automatisiert organisiert. Gerade in den letzten Jahren wurde viel Geld in Softwareunterstützung und hohe Automation investiert.

Ergeben sich nun prozessuale Unterbrechungen oder Verzögerungen, so muss manuell mit hohem Sachverstand nachgesteuert werden. Hierfür ist die Stammmannschaft im Unternehmen häufig kapazitiv als auch inhaltlich überfordert.

Es gilt, mit manuellen Eingriffen in komplexe Prozesse die Schnittstellen am Laufen zu halten, die einen reibungslosen Ablauf der Wertschöpfungsprozesse gewährleisten. Das in der Krise geforderte interdisziplinäre Wissen und die Arbeit mit komplexen Prozessen im Krisenmodus überfordern regelmäßig die Organisationen in Unternehmen. Somit wird wertvolle Zeit in der Planung, Umsetzung und Lösung von Problemen verloren, was wiederum die Liquidität belastet. 

Eisenberg: Betroffen sind wichtige Zulieferländer – neben China insbesondere auch Italien, noch einmal verstärkt durch die beabsichtigte Schließung der Brenner-Autobahn – wie beurteilen Sie die Situation in Bezug auf die verschiedenen Regionen?

Hengge: Je nach Unternehmensaufstellung im Bereich Supply Chain haben die Regionen unterschiedliche Bedeutungen. Generell ist China für die meisten Unternehmen für Rohstoffe als auch Halbfertig-/Fertigprodukte die Bezugsquelle Nr. 1.

Die Unterbrechung der Lieferketten aus Asien/China von derzeit ca. 2 Monaten bedeutet mindestens 3 - 4 Monate Anlaufschwierigkeiten mit weiteren unvorhergesehenen Ausfällen von Lieferungen und Leistungen.

Der Brenner ist ein Verkehrsweg für den Landverkehr. Eine Schließung oder erhebliche Beeinträchtigung wäre verkraftbar, sofern es auf anderen Routen oder Verkehrsmitteln Ausweichmöglichkeiten gäbe. Dies ist bei dieser Krise nicht der Fall. Schaut man sich den Verlauf in China an, haben wir den Höhepunkt noch nicht erreicht, so dass Lieferungen aus Italien und auch angrenzenden Ländern mit einem hohen Ausfallrisiko verbunden sind und mindestens bis Sommer 2020 sein werden.

Eisenberg: Was können Unternehmen jetzt tun, um ihre Lieferfähigkeit im größtmöglichen Maße abzusichern?

Hengge: Die Unternehmen müssen zunächst sicherstellen, dass die Absatz- und Produktionsplanung durch Lagerhaltung bestmöglich abgesichert wird.

Ausweichlieferanten in Deutschland oder Ländern mit wenigen Einschränkungen sind zu verpflichten bzw. zu suchen. Je komplexer die Produkte sind, desto länger kann dieser Prozess dauern. Weiter müssen die vertraglichen Situationen sowie die Risikobewertung auf Kundenseite transparent sein. Die Konzentration auf ergebnisstarke Produkte und A/B-Kunden kann hier durchaus Sinn machen, sollte sich aber auch an rechtlichen Vereinbarungen orientieren. Auch wenn die Lieferanten nun ggf. nicht mehr liefern können, z.B. aus Italien, müssen Vorbereitungen getroffen werden, sobald das wieder der Fall ist.

Hier gilt es, sich die Priorität sowie ggf. durch spezielle Vereinbarungen die faktische Zusicherung zu erhalten, dass wieder verlässlich und in bester Qualität geliefert werden kann.

Eine Analyse alle Sublieferketten ist dabei unerlässlich, um bereits im Vorfeld Schwachstellen zu erkennen und Lösungen anbieten zu können. Häufig ist eine Begleitung der Lieferanten vor Ort, nach Wiederanlauf, erforderlich. Die Kapazitäten hierfür sind rechtzeitig zu planen bzw. zu sichern. Wer bei diesen Themen gut vorbereitet ist, wird entscheidende Vorteile zu rein reaktiven Firmen haben und das vor allem auch auf der Kostenseite.  

Eisenberg: Welche Maßnahmen sollten Unternehmen treffen, um die Liquiditätsbelastung aus der Liefersituation zu minimieren?

Hengge: In mehr projektbezogenen Unternehmen ist es erforderlich, alle zusätzlichen Kosten außerhalb der Kalkulation teils täglich/wöchentlich neu zu bewerten und zu entscheiden. Dies trifft vor allem auf ggf. erhöhte Lagerhaltungskosten oder Kosten aus Sonderfrachten zu. Auch Anlaufkosten bei neuen Lieferanten oder Zweit-Lieferanten sind eng zu überwachen. Die KPI-Zyklen sind dabei kritisch zu hinterfragen und ggf. zu verkürzen. Es muss jede Liefersituation verstanden werden, um unberechtigte Kosten abwehren zu können.

Im Bereich der Logistik haben wir eine künstliche Verknappung aber auch überschüssige Kapazitäten auf der anderen Seite. Somit sehe ich dort eher die Chance auf Preisreduzierungen, die sich bereits jetzt für einen Wiederanlauf gesichert werden sollten.

Auch bei Unternehmen mit weniger projektbezogener Ausrichtung sind ähnliche Maßnahmen sinnvoll. Entscheidend für alle Unternehmen ist die Risikobetrachtung jetzt und vor allem für die Phase der Normalisierung. Hier kommt es dann häufig zu Prioritäts- und Qualitätsthemen, die gerade mittlere und kleinere Lieferanten ohne Begleitung überfordern. 

Eisenberg: Wie können krisenerfahrene Interim Manager helfen, dass Unternehmen den Schaden aus der eingetretenen Krise minimieren und sich optimal auf die Wiederherstellung der Lieferfähigkeit vorbereiten?

Hengge: Diese Manager sind es gewohnt in unruhigen Zeiten und an verschiedenen Stellen im Unternehmen zu wirken, eigene Organisationen hingegen erleben solche Situationen selten oder gar nicht. Die Problemstellungen weiten sich rasch auf alle Bereiche in der Unternehmung aus und wirken interdisziplinär. Krisenmanager sind dabei in der Lage an den richtigen Stellen zu arbeiten, so dass sich ein Schaden verringern lässt oder gar nicht wie befürchtet eintritt. Als Spezialist als auch Ansprechpartner kann der Manager den internen Bereichen helfen, sich kapazitiv zu verstärken und die Kräfte auf die richtigen und wichtigen Belange zu konzentrieren. Mit Checklisten als auch Maßnahmenplänen werden die Bereiche im Sondermodus unterstützt, aber auch gezielt auf die jeweiligen „Anläufe“ nach Erreichung der Normalität vorbereitet. Ziel hierbei muss sein, dass der Anlauf geordnet und verkraftbar für die Unternehmung verläuft. Die Krisenmanager kennen viele Situationen und auch Fehler die gemacht werden. Mit ihrer Erfahrung wird die Unternehmung quasi als „Lotse im Hafen“ sicher wieder zur Normalität gelangen.

Eisenberg: Ich danke Ihnen für diese Einschätzungen!

 

Zur Person Thomas Hengge:

Interim Manager seit 2016 mit Fokus auf:

15 Jahre Industriekarriere:

Im letzten Boyden Assignment:

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