Personalexperten sind inzwischen gefragter als IT-Fachkräfte. Die Entwicklung hat das Zeug dazu, die Wachstumspläne vieler Betriebe zu gefährden.
Ursprünglich gesehen auf handelsblatt.com 21.02.22
Düsseldorf. Eigentlich sollen Personaler möglichst schnell die vielen offenen Stellen in Deutschlands Unternehmen besetzen. Doch der hiesige Arbeitsmarkt ist aktuell so stark in Bewegung, dass viele HR-Abteilungen selbst an ihre Grenzen kommen – und händeringend Verstärkung suchen. Die Folge: Recruiter suchen immer häufiger Recruiter.
Das zeigen exklusive Daten des Personaldienstleisters Hays und der Jobplattform Indeed, die dem Handelsblatt vorliegen. Danach ist die Zahl der Stellenausschreibungen im HR-Bereich in den vergangenen zwei Coronajahren stärker gestiegen als etwa in der IT oder im Ingenieurwesen. Die beiden Bereiche gelten seit Jahren als vom Fachkräftemangel besonders betroffen.
Verglichen mit Vor-Coronazeiten stiegen laut Hays die Stellenausschreibungen für Personaler im vierten Quartal 2021 um 93 Prozent. Die Nachfrage nach IT-Fachkräften kletterte im selben Zeitraum um 54 Prozent, im Ingenieurwesen waren es 48.
Hays erhebt die Daten in Zusammenarbeit mit der Berliner Index-Gruppe, die Stellenanzeigen im Internet und in Zeitungsannoncen auswertet. Auch Indeed misst aktuell einen Anstieg um 89 Prozent im Personalwesen, verglichen mit der Zeit vor der Pandemie.
„Der Markt ist so gut wie leer gefegt – das spüren auch wir Personaler“, sagt Cawa Younosi, Personalchef bei SAP Deutschland und Präsidiumsmitglied beim Bundesverband der Personalmanager (BPM).
Viele Unternehmen hätten zu Beginn der Pandemie mit Neueinstellungen gewartet und schon zuvor zu wenig in ihre HR-Abteilungen investiert. Das räche sich jetzt. „Was wir derzeit sehen, sind ganz klar Nachholeffekte“, sagt Younosi. Wenn sich die Lage nicht entspanne, so Younosi, könnte das im Extremfall dazu führen, dass Unternehmen personell nicht so stark wachsen könnten wie geplant.
Gerade größere Unternehmen mit entsprechend großen Personalabteilungen sind hier im Vorteil. Doch auch dort sind HR-Profile derzeit gefragt. Allein die 40 größten Börsenunternehmen im Dax suchen laut einer Indeed-Auswertung für das Handelsblatt momentan knapp 500 Personalerinnen und Personaler.
Die Konzerne mit den meisten offenen Personaler-Stellen sind BASF, Deutsche Post und Zalando. Bei Beiersdorf fällt sogar jeder zehnte ausgeschriebene Job in den HR-Bereich. BASF erklärt auf Anfrage die vielen Vakanzen in dem Bereich mit einer internen Umstrukturierung. Bei Zalando sind es „ehrgeizige Wachstumsziele“ des Unternehmens, die für die erhöhte Nachfrage sorgen.
Seit Monaten ist die Zahl der Stellenausschreibungen auf Online-Jobbörsen deutlich über Vor-Corona-Niveau. Auch die Arbeitslosenquote ist mit 5,4 Prozent stabil niedrig. Personalern kommt in dem aktuellen Stellenboom eine strategisch wichtige Rolle zu. Mussten inmitten der Krise viele Unternehmen umstrukturieren, Kurzarbeit einführen oder Personal abbauen, werden nun in neuen Bereichen händeringend qualifizierte Bewerber oder interne Kandidaten gesucht, die sich weiterentwickeln lassen.
Branchenübergreifend stieg die Nachfrage laut Hays am stärksten für Profile wie HR-Business-Partner, Recruiter und Employer-Branding-Experte. Alles Zeichen, „dass der Fokus bei der Personalplanung neben einer kurzfristigen Mitarbeitergewinnung auch eine langfristige Mitarbeiterbindung beinhaltet“, sagt Christian Borkowski, Managing Director bei Hays.
„Deutschlands Unternehmen müssen ihre Recruitmentprozesse schneller durchführen – dafür brauchen sie gut ausgestattete HR-Abteilungen“, sagt Christine Stimpel, Partnerin bei der internationalen Personalberatung Heidrick & Struggles. Wer sich selbst für einfache Fach- oder Managementrollen mit der Besetzung Wochen Zeit lasse, sei in der aktuellen Lage klar im Nachteil. Auch für Stimpel hat der Fachkräftemangel „das Potenzial, den Fachkräftemangel weiter anzufachen“. Schon heute seien viele unbesetzte Stellen länger ausgeschrieben als nötig.
Nicht nur Personalabteilungen – „auch Headhunter müssen gerade für sich selbst headhunten“, sagt Jörg Kasten, Managing Partner der Personalberatung Boyden in Deutschland, der gerade so viel Bedarf in seiner Branche sehe wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht. Das bestätigt auch eine Blitzumfrage des Handelsblatts bei den zehn größten Personalberatungen im Land. Danach wollen alle Headhunter in Deutschland in diesem Jahr um 15 bis 35 Prozent wachsen, nur zwei Firmen wollten keine konkreten Werte nennen.
Auch die zwei großen Personaldienstleister Randstad und Manpower wollen dieses Jahr 500 beziehungsweise 350 interne Stellen besetzen, wie das Handelsblatt aus den Unternehmen erfuhr. Manpower sucht in Deutschland insbesondere für die Bereiche Personalberatung, Vertrieb, Recruiting, Business-Development und IT.
Ein Hoffnungsschimmer für die Branche dürfte sein, dass Personaler oft Quereinsteiger sind. Viele von ihnen haben BWL, VWL oder Wirtschaftswissenschaften studiert. Für den Job bietet sich auch der Wechsel innerhalb des Unternehmens an: Wer etwa heute im Marketing oder Vertrieb einer Firma tätig ist und sich in eine andere Richtung weiterentwickeln möchte, wählt häufig den Schritt in die Personalabteilung.
Dafür ist der Bruttodurchschnittsverdienst mit 54.424 Euro weder übermäßig hoch noch besonders niedrig. Allerdings liegt für gefragte Rollen wie die eines HR-Business-Partners das Einkommen deutlich höher, wie Zahlen von Stepstone zeigen.
Anzeichen, dass sich die Lage entspannt, sind nicht in Sicht. Bereits dieses Jahr übersteigt die Zahl der Menschen, die in Rente gehen, die Zahl der Neueinsteiger um mehrere Hunderttausende. „Diese Lücke am Arbeitsmarkt wird sich ab sofort nur noch vergrößern“, sagt Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei Stepstone. Viel Arbeit also weiterhin für Deutschlands Personalabteilungen.